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Jimi Hendrix: The Star-Spangled Banner (1969) Magazin Mitbestimmung

Das politische Lied: DEKONSTRUKTION EINER HYMNE

Ausgabe 03/2025

August 1969. Der Vietnamkrieg ist auf seinem Höhepunkt. Beim Musikfestival in Woodstock spielt Jimmy Hendrix die amerikanische Nationalhymne in einer Weise, die aufhorchen lässt. Von Martin Kaluza

Jimi Hendrix: The Star-Spangled Banner (1969)

And the rockets’red glare,
The bombs bursting in air,
Gave proof through the night
That our flag was still there


Die Lage im Vietnamkrieg hat sich zugespitzt. Die groß angelegte Tet-Offensive des Vietcongs hat die Stimmung in der US-Öffentlichkeit zum Kippen gebracht. Es wird offensichtlich, dass die USA diesen Stellvertreterkrieg nicht gewinnen können. Sie ziehen bereits Bodentruppen ab, fliegen stattdessen immer mehr
Luftangriffe.

Im August 1969 versammeln sich unter dem Motto „3 Days of Peace & Music“ 400 000 Hippies zum Woodstock-Festival. Dutzende Bands spielen, am Sonntagabend soll Jimi Hendrix den Höhepunkt markieren. Sein Auftritt wird auf den Montagmorgen verschoben, 9 Uhr, bei grellem Tageslicht. Heftiger Regen am Vortag hat die Wiese in Schlamm verwandelt, gerade mal 35 000 Zuschauer haben ausgeharrt.

In einem Medley aus seinen Songs spielt Hendrix ein paar Melodietöne an, die dem Publikum gleich bekannt vorkommen: Es ist der Anfang des „Star-Spangled Banner“, der US-amerikanischen Nationalhymne. Hendrix spielt sie als Instrumentalversion, doch der Gesang läuft bei jedem im Kopf mit. Die ersten vier Zeilen interpretiert Hendrix laut, verzerrt, in einer rohen Blues-Version, während der langen Noten stimmt er lässig sein
Instrument nach.

Dann kippt die Performance: Hendrix lässt einen Ton lange stehen, erzeugt mit dem Tremolohebel der Gitarre ein Heulen, Rückkopplungen springen zwischen seiner elektrischen Gitarre und den Verstärkerboxen hin und her, und Hendrix tut, was man so noch von keinem Gitarristen gehört hatte: Er lässt hohe, singende Töne in die Tiefe stürzen, sie klingen wie Bomber im Sturzflug. Sirenen und markerschütternde Detonationen lassen alle, die innerlich mitgesungen haben, erschaudern, denn genau jetzt käme die Textzeile: „And the rockets’ red glare, the bombs bursting in air ...“ („Der rote Schein der Raketen und die Bomben, die in der Luft bersten“). Fast anderthalb Minuten dauert die zerstörerische Sequenz, bevor Hendrix sich wieder der bekannten Melodie annähert: „... gave proof through the night that our flag was still there“.

Hendrix’ apokalyptisches Gitarrensolo ist der Wecker, der das verbliebene Publikum aus dem idyllischen Peace-and-Love-Traum des Festivals reißt und in die politische Realität zurückkatapultiert.

Seinen Ursprung hat das „Star-Spangled Banner “ im Unabhängigkeitskrieg. Der Dichter Francis Scott Key hatte den Text in der Erleichterung darüber geschrieben, dass die Flagge der USA nach einem britischen Angriff
noch immer auf Fort McHenry wehte. Die Melodie entstammt einem englischen Trinklied. Mit seiner Dekonstruktion nimmt Hendrix der Hymne alles Heroische.

Drei Wochen nach dem Woodstock-Auftritt fragt der aufgeschlossene und populäre Talkshowmoderator Dick Cavett Hendrix, was denn da los gewesen sei mit dieser Kontroverse um das „Star-Spangled Banner“. „Keine Ahnung, Mann, ich bin Amerikaner, also hab ich’s gespielt. Wir mussten es immer in der Schule singen, also hab ich’s gespielt.“ Das Publikum versteht die Ironie in Hendrix’ Understatement. Als Cavett seine Interpretation „unorthodox“ nennt, unterbricht Hendrix ihn freundlich: „I think, it was beautiful.“

Das Lied anhören/ansehen:

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