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Interview: „Die Hauptverantwortung liegt beim Bund“

Ausgabe 07+08/2013

Guntram Schneider (SPD), NRW-Minister für Arbeit, Integration und Soziales, über die Zuwanderung rumänischer und bulgarischer Bürger ins Ruhrgebiet. Die Fragen stellte Silviu Mihai

Herr Minister Schneider, Sie sind mit einer Rumänin verheiratet und sprechen rumänisch. Was erzählen Ihnen die Migranten, die sie in Duisburg oder Dortmund treffen?

Die Situation ist ambivalent. Schon vor dem EU-Beitritt der beiden Länder 2007 begann eine Zuwanderung rumänischer und bulgarischer Staatsbürger, die hoch qualifiziert sind. Der größte Teil dieser Menschen verfügt über einen Hochschulabschluss. Sie bewerben sich hier vor allem im medizinischen Bereich. Sie wandern ein und fallen überhaupt nicht auf.

 

Wo also ist das Problem?

Seit etwa zwei Jahren beobachten wir einen verstärkten Zuzug von Menschen, die wenig qualifiziert, teilweise Analphabeten sind. Von der Zahl her ist das mit wenigen Zehntausenden keine Größenordnung, die aufhorchen lässt, doch weil der Zuzug in bestimmte Zentren erfolgt, fällt er auf. Diese Menschen sind mit großen Problemen konfrontiert. Bei der Wohnungssuche sind sie erheblich benachteiligt, sie zahlen bis zu 250 Euro im Monat für den Schlafplatz auf einer Matratze. Sie haben keine akzeptable Gesundheitsversorgung, weil sie nicht krankenversichert sind. Sie haben Probleme bei der Arbeit, denn legal dürfen viele noch gar nicht arbeiten. Also verdingen sie sich illegal auf dem sogenannten Arbeiterstrich für 1,50 bis drei Euro pro Stunde. Dann gibt es Probleme mit der Beschulung der Kinder.

 

Welche Probleme?

Nicht alle Kinder der Migranten aus diesen sozial schwächeren Schichten sind angemeldet, und sie sprechen alle kein Deutsch.

 

Führt diese Migration zu einer Belastung für das deutsche Sozialsystem?

Es gibt keinen Grund für Panik, aber wir müssen die Probleme erkennen und benennen und praktikable Lösungen finden. Die Rumänen und Bulgaren sind Europäer, sie gehören zu Europa. Die überwiegende Mehrheit derjenigen, die nach Deutschland kommen, geht einer Erwerbstätigkeit nach, zahlt Steuern und Sozialbeiträge. Gleichzeitig müssen wir dafür sorgen, dass alle, auch die sozial Schwächeren, gut integriert sind.

 

Was kann der Minister für Integration tun?

Das Land ist nur begrenzt aktionsfähig, aber wir werden den Kommunen helfen. Noch in diesem Jahr werden wir im Kabinett ein Handlungskonzept beschließen, das die vier wichtigsten Bereiche – Wohnen, Gesundheit, Bildung und Arbeit – abdeckt. Doch die Hauptverantwortung liegt beim Bund. Es ist auch nahezu skandalös, dass es für die Verbesserung der Lebensbedingungen dieser Menschen in ihren Heimatländern seitens der EU erhebliche Gelder gibt, die aber von Rumänien und Bulgarien nicht in Anspruch genommen werden oder nicht da ankommen, wo sie ankommen sollen. Zumindest ein Teil dieser Armutswanderung würde nicht entstehen, wenn dort die Lebensbedingungen für diese Menschen verbessert würden.

 

Das wird dauern. der Durchschnittslohn in Rumänien beträgt aktuell 350 Euro im Monat. Was lässt sich kurz- und mittelfristig machen?

Man muss zumindest anfangen, die Lebensstandards in den Balkanländern an die westeuropäischen anzunähern. Die Aufnahme von Rumänien und Bulgarien in die EU war außenpolitisch begründet. Doch die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist zu früh gekommen. Das war ein politisches Versagen.

 

Was verlangen Sie vom Bund?

Wir verlangen ein Sofortprogramm zur Unterstützung der betroffenen Kommunen. Das ist dringend erforderlich, weil die Kommunen besondere finanzielle Lasten tragen müssen. Niemand lässt einen Rumänen, eine Rumänin ohne Krankenversicherung im Stich. Selbstverständlich werden sie medizinisch versorgt, aber das Geld dafür ist im Moment eigentlich nicht da.

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